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Die Bundesregierung befürwortet die Einführung der französischen “Nutri-Score”. Dieses Label hilft Verbrauchern wenig und wirft mehrere problematische Fragen auf. Im April berichtete das Statistische Bundesamt in Wiesbaden, dass 53 Prozent aller Erwachsenen in Deutschland im Jahr 2017 übergewichtig waren. Prompt folgten Ideen aus Politik und Gesellschaft, wie man dieses Problem beheben könnte. Die Bundesministerin Julia Klöckner (CDU) meint derweilen, dass das französische Modell des “Nutri-Score” eine adäquate Lösung darstellt.

Dieses Label wurde 2017 von der französischen Gesundheitsbehörde eingeführt und ist für Lebensmittelhersteller (noch) nicht verpflichtend. Wer die französische Politik allerdings kennt, der versteht schnell, dass solche Initiativen nur sehr kurz freiwillig sind, bevor die Regierung in Paris es zu allgemeiner Pflicht erklärt. Das System ist grundsätzlich überschaubar und gibt Verbrauchern Auskunft über den Nährwert eines Produktes auf einer Skala von A bis E (A wäre in diesem Fall positiv) und den Farben Grün bis Rot.

Eine Verbraucherumfrage des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, die im Juli vorgestellt wurde, zeigt, dass Verbraucher den Nutri-Score bevorzugen, so heißt es zumindest auf der Internetseite des Ministeriums. Eine ähnliche Forsa-Umfrage wurde im August veröffentlicht, sie war von der Nichtregierungsorganisation “Foodwatch” in Auftrag gegeben worden. Auch hier hieß es, dass die meisten Verbraucher für den Nutri-Score wären. Interessant ist allerdings die Tatsache, dass die Forsa-Umfrage nicht eindeutig erklärte, dass dieses Label bald zur Pflicht werden würde.

Dies ist aber immer noch besser als die Umfrage der Bundesregierung, in der es nicht einmal möglich war, den Nutri-Score abzulehnen. Hier wurde nur erkundet, wie Verbraucher den Score wahrnehmen und interpretieren. Schlussfolgerung des Ministeriums auch in der Überschrift: “VerbraucherInnen wollen Nutri-Score”.

Wissen diese Verbraucher, dass der Nutri-Score nichts darüber aussagt, ob ein Lebensmittel gesund oder ungesund ist? Schwer vorstellbar, da die Regierung dies nur tief im Kleingedruckten versteckt hat. Denn wer Kalorienanzahl sowie günstige und ungünstige Nährstoffe miteinander verrechnet, erhält dadurch nicht grundsätzlich einen gesunden Mix für die tägliche Ernährung. Außerdem können sich Lebensmittelunternehmen den Berechnungen des Nutri-Score so anpassen, dass Verbraucher in die Irre geführt werden.

Ob dies bei der Umstellung der Ernährung hilft, ist fraglich. So kann “Vollkornbrot” industriell mit Ballaststoffen angereichert werden, um eine bessere Punktzahl zu erhalten, ohne deshalb gesünder zu sein. Ebenso wenig kann die Reduzierung von Fetten und deren Ersatz durch Kohlenhydrate – insbesondere raffinierte Kohlenhydrate – oder Zucker durch synthetische Süßstoffe als ein Fortschritt im Kampf gegen Fettleibigkeit und die damit verbundenen Krankheiten angesehen werden. Die kanadische Ernährungspsychologin Noémie Carbonneau meint dazu: “Es ist sehr gefährlich, eine zweiteilige Sichtweise auf Essen zu haben und zu sagen: Es ist gut oder nicht gut.”

Die Politisierung der Wissenschaft macht durch den Nutri-Score auch bei Lebensmitteln keinen Halt. Französischer Käse, der anfänglich ein “E” bekam, wurde kürzlich auf mysteriöse Weise vom zuständigen Ministerium ernährungstechnisch hochgestuft. Andere Käsesorten, beispielsweise Frischkäse, wurden auf einmal gar nicht mehr als Käse anerkannt.

Die einzige Peer-reviewte Studie zu diesem Thema (International Journal of Behavioral Nutrition and Physical Activity, 2016) kommt zu dem Schluss, dass Verbraucher durch das Nutri-Score-Modell nicht gesünder äßen und in den meisten Produktkategorien (Süßes, Nudeln, Fleisch etc.) die Auswahl kaum variiert. Doch die Probleme des Nutri-Score sind weitreichender als dieses Missverständnis. Das System berücksichtigt nur eine sehr begrenzte Anzahl von Nährstoffen (Salz, Zucker, gesättigte Fette, Ballaststoffe und Frucht-/Gemüsegehalt) und ignoriert andere. Sogar Olivier Andrault vom französischen Verbraucherverband UFC, der den Nutri-Score positiv sieht, erklärt: “Der Nutri-Score ist nicht vollständig, da er das Vorhandensein von Zusatzstoffen oder Transfettsäuren nicht berücksichtigt und die Häufigkeit, mit der Produkte aufgrund ihrer Bewertung konsumiert werden können, nicht eindeutig angibt.”

Allgemein sollte man sich in Acht nehmen, wenn der Staat das Ernährungsmodell der Bürger definieren will. Wer erinnert sich nicht an die fehlgeschlagene Lebensmittelpyramide? Diese farbenfrohe dreieckige Form aus den Seiten unserer Schulbücher – Bilder von einer Milchtüte, einer Hühnerkeule und grünen Brokkolistengeln. Pflichtbewusst studierten wir diese “Bausteine einer gesunden Ernährung” und schworen, täglich unsere drei Portionen Milchprodukte sowie viel Brot, Reis und Nudeln zu uns zu nehmen, um die Grundlage für unsere gesunde Ernährung zu schaffen. Heute wissen wir es besser: Die Lebensmittelpyramide basiert nicht nur auf falschen Annahmen, sondern die Einhaltung ihrer Vorschriften kann tatsächlich schädlich sein und zu einer ungesunden Ernährung führen.

Bundesministerin Julia Klöckner reagiert mit dem falschen Modell auf das sehr reale Problem des Übergewichts in Deutschland. Sie sollte auf mehr Bewegungsanreize setzen statt auf staatliche Ernährungsmodelle.

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