Den Insekten geht es ziemlich gut. Trotzdem verbreiten viele Panik über ihr angebliches Aussterben. Die Ursache: Eine fragwürdige Studie. Ein Gastbeitrag von Fred Roeder, Geschäftsführer des Consumer Choice Centers.
Im Jahr 2006 bemerkten viele Imker, dass ihre Bienenkolonien schrumpften. Dieses Phänomen wurde als Colony Collapse Disorder (CCD) bekannt, zu Deutsch „Bienensterben“. Dieses Phänomen wurde zunächst auf gentechnisch veränderte Organismen (GMO) zurückgeführt. Dieser Verdacht erhärtete sich nicht. Also wurden Neonikotinoide verdächtigt, eine relativ neue Kategorie von Pflanzenschutzmitteln.
Im Zuge der sogenannten Beepocalypse erschienen Tausende Nachrichtenartikel und erzeugten so viel Druck, dass verschiedene Neonikotinoide in Europa verboten wurden. In den USA entschied sich der Gesetzgeber gegen Verbote. Am stellten Wissenschaftler fest, dass eine Vielzahl von Faktoren den Rückgang der Bienenkolonien im Jahr 2006 ausgelöst hatte. Die Hauptursache waren Viren. Heute sieht die Realität so aus: Die Honigbienenpopulation nimmt zu, in Nordamerika, in Europa und weltweit.
Die Washington Post veröffentlichte zwar zwei Artikel die als Richtigstellung gelten können. Aber die meisten großen Medien setzten sich nicht mit Ihrer Beteiligung an der Verbreitung falscher Nachrichten auseinander. Leider behandelten nur wenige Artikel das Thema differenziert.
Der Shit macht mich krank wie Malaria
Es ist nicht nur wichtig, aus der Vergangenheit zu lernen, diese Lektionen müssen auch angewendet werden. Das geschieht aber nicht. So muten aktuelle Schlagzeilen zum “Insektensterben“ vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse besonders seltsam an.
Führende Medien überschlagen sich mit Überschriften wie
- „Das große Insektensterben“ (ARD, 24.11.2018)
- „Insektensterben – was können wir tun?“ (WDR, 05.06.2018)
- „Ein Drittel bedroht: Insektensterben führt zu veheerendem Domino-Effekt“ (Focus, 11.02.2019)
- „Studie bestätigt globales Insektensterben“ (Zeit, 11.02.2019)
- „Insektensterben: Gibt es bald keine Schmetterlinge mehr auf der Erde?“ (RTL, 14.02.2019)
Die Süddeutsche Zeitung schrieb am 11. Februar „In 100 Jahren ausgestorben?„, und zitiert eine Studie, die diese Prognose macht. Am 26. März erklärte die selbe Autorin das Insektensterben für „wissenschaftlich bewiesen“.
„In 100 Jahren gibt es gar keine [Insekten] mehr“
All diesen Schlagzeilen liegt die selbe Studie zugrunde. Sie trägt den Titel „Worldwide decline of the entomofauna: A review of its drivers“ und wurde verfasst von Francisco Sánchez-Bayo, von der School of Life & Environmental Sciences an der University of Sydney. Bayo prognostiziert einen rasanten Rückgang der weltweiten Insektenpopulation, der zum Zusammenbruch des gesamten Ökosystems führen werde. Er behauptet, dass es einen Jahresverlust von 2,5% in den letzten 25-30 Jahren gegeben habe. „Es geht sehr schnell. In 10 Jahren werden wir ein Viertel weniger haben, in 50 Jahren nur noch die Hälfte und in 100 Jahren gibt es gar keine [Insekten] mehr“, sagte Bayo dem Guardian.
Der spanische Wissenschaftler glaubt, die Ursachen dafür seien Neonikotinoide – die gleiche Art von Insektiziden, die angeblich damals das Bienensterben verursachten – und das Insektizid Fipronil. Bayo stört sich aber auch an der Intensivierung der Landwirtschaft: „Im Grunde bedeutet das, dass alle Bäume und Sträucher, die normalerweise die Felder umgeben, beseitigt werden, so dass es leere Felder gibt, die mit synthetischen Düngemitteln und Pestiziden behandelt werden können.“
Dass alle Insekten bis 2119 ausgestorben sein sollen, ist eine gewagte Behauptung. Clive Hambler und Peter Alan Henderson vom Department of Zoology der University of Oxford haben dazu eine Kritik mit dem Titel „Challenges in Measuring Global Insect Decline“ an Biological Conservation gerichtet, das Wissenschaftsjournal, in dem Bayo seine Studie veröffentlichte. Die Wissenschaftler werfen grundsätzliche Fragen zur Methodik auf mit der Bayo zu seinen Schlüssen kann.
Die Stachel der Kritik
Bayo wertete insgesamt 73 Studien aus. Dabei fällt auf, dass er nur solche berücksichtigte, die einen Rückgang der Insektenpopulation zeigten. Die Oxford-Forscher werfen Bayo auch „falsche Aussagen über den Mangel an Daten für Ameisen“ vor. Hambler und Henderson sprechen in ihrer Kritik auch die „Roten Listen“ an, mit denen Bayo behauptet, Arten seien ausgestorben, während sie tatsächlich nur regional verschwanden. Wetterbedingungen und andere Faktoren können dazu führen, dass Insekten Regionen verlassen.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass die geschätzte Anzahl der Insektenarten weltweit zwischen 2 Millionen und 30 Millionen variiert. Allein diese Tatsache zeigt, wie fragwürdig es ist, anhand einzelner Arten einen weltweiten Rückgang der Insektenpopulationen beweisen zu wollen. Außerdem ist es äußerst schwierig, die Anzahl der wilden Insekten zu erfassen. Wilde Insekten lassen sich, wie der Begriff schon nahelegt, nicht so leicht zählen.
In der Venusfliegenfalle
Am auffälligsten ist, wie die Bayo-Studie Forschungsergebnisse falsch interpretiert hat. Bayo zitiert unter anderem drei Studien, die angeblich die These stützen, Pestizide seien die einzige Ursache des Insektensterbens. Hambler und Henderson haben nachgelesen und entdeckt, dass die Studien diese Annahme eben nicht belegen.
Eines ist sicher: Die Wissenschaft muss Insektenpopulationen besser erforschen, bevor sie Aussagen über den weltweiten Rückgang der Insektenzahlen treffen kann. Und ja, es kostet Zeit und Mühe, sich in diese Materie einzulesen, bevor man ein Urteil fällt – oder gar überstürzt ein Gesetz erlässt.
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